Jugendherberge Essen
Interview mit Markus Fischer, Hausleitung
12. Juli 2022
Markus Fischer ist 36 Jahre alt und lebt in Duisburg. Nach einer Ausbildung zum Verfahrensmechaniker hat er 2009/2010 seinen Zivildienst in der Jugendherberge Duisburg Landschaftspark absolviert. Ursprünglich wollte Markus Fischer nach dem Zivildienst studieren. Da ihm der Job aber so viel Spaß gemacht hat, ist er geblieben – zunächst auf 450 Euro-Basis, dann in Teil- und schließlich in Vollzeit.
Mit der Eröffnung der komplett neuen Jugendherberge Duisburg Sportpark im Jahr 2013 ist er an den neuen Standort gewechselt, zunächst als Rezeptionsleitung und Tagungskoordinator, später avancierte er zum stellvertretenden Herbergsleiter.
2020, mitten in der Corona-Pandemie, hat er sich um die Leitung der Jugendherberge Essen beworben, nachdem das Ehepaar Ladwig in den Ruhestand gegangen war – mit Erfolg. Er ist jetzt genau 1 Jahr im Amt.
Markus Fischer rechts an der Seite der langjährgen Leiter der JH Essen: Carola und Joachim Ladwig – bei der Verabschiedung des Ehepaares in den Ruhestand, Juni 2022
Warum haben Sie sich um die Leitung der Jugendherberge Essen beworben?
Eigentlich hatte ich nicht an einen Wechsel oder eine Neuorientierung gedacht, da mich meine Aufgaben in der Jugendherberge Duisburg Sportpark sehr ausgefüllt haben. Ich bin räumlich und familiär an das Ruhrgebiet gebunden und möchte auch nicht weg. Dass nun ausgerechnet in Essen, meiner Nachbarstadt sozusagen, eine Leitungsstelle frei wurde, hat mich dann doch gereizt. Darum habe ich die Gelegenheit ergriffen und mich dem Bewerbungsverfahren gestellt.Mitten im Bewerbungsprozess kam dann die Pandemie. Wie war das?
Ich erinnere mich sehr gut: Im März 2020 sollte das Bewerbungsgespräch stattfinden. Kurz zuvor wurden alle Jugendherbergen pandemiebedingt von einem auf den anderen Tag geschlossen. Eine Situation, die es vorher noch nie gab. Niemand wusste, wie es weitergeht. Das Bewerbungsgespräch wurde deshalb auf Oktober verschoben. Im Anschluss wurde mir die Leitung der Jugendherberge Essen übertragen, es sollte aber noch Monate dauern bis ich meine Stelle antreten konnte. Während der Zeit habe ich weiter in der JH Duisburg Sportpark gearbeitet, zwar in Kurzarbeit aber dennoch in einem abgesicherten Rahmen – eine schwierige Zeit. Anstatt, wie sonst Buchungen entgegenzunehmen und Gruppenaufenthalte zu organisieren hat man den Leerstand verwaltet. Keine Gäste, 90% Stornierungen, Verschiebungen und keiner konnte wissen, wie lange die Ausnahmesituation andauern würde.Als Quereinsteiger haben Sie in der Jugendherbergswelt immer mehr Verantwortung übernommen und Karriere gemacht. Eine Erfolgsgeschichte!
Ich bin in die Arbeitswelt „Jugendherberge“ hineingewachsen, habe in unterschiedlichen Häusern verschiedene Aufgaben erfüllt, immer angetrieben von dem Wunsch oder der Vision, das Optimum aus der jeweiligen Situation rauszuholen. Ich neige dazu, mich nicht mit dem zufrieden zu geben, was gerade ist, sondern möchte immer mehr und weiter. Meine Ausbildung und mein handwerkliches Geschick kommen mir dabei auch zugute, weil ich kleinere Reparaturarbeiten einfach sofort selbst erledigen kann.Wie ist es jetzt für Sie, die Seiten gewechselt zu haben? Vom Kollegen und Mitarbeiter zum Chef?
Schon in Duisburg hatte ich viel Verantwortung übernommen, war in die Personalplanung involviert, hatte die Leitung der Rezeption inne. Das machte den Wechsel in die Leitungsebene einfacher. In den vielen Jahren, die ich in Jugendherbergen gearbeitet habe, habe ich die unterschiedlichsten Arbeitsbereiche kennengelernt, bin die verschiedenen Abteilungen durchlaufen. Das ist heute bestimmt ein Vorteil, weil ich mich als Herbergsleiter gut in die Wünsche und Herausforderungen der Mitarbeitenden hineinfinden kann. Der Wechsel in die Leitungsebene an sich war unproblematisch, weil ich gleichzeitig den Standort gewechselt habe. Es war für das Team vor Ort und auch für mich persönlich ein kompletter Neuanfang.Für wie viele Mitarbeitende sind Sie heute in der Jugendherberge Essen verantwortlich? Wie groß ist Ihr Team vor Ort?
Durch Corona war das Team von 23 auf elf Mitarbeitende geschrumpft. Weil das Haus über Monate geschlossen war, sind viele Minijobber weggefallen, Verträge von Köchen und Reinigungskräften konnten nicht verlängert werden, weil über Monate nicht gekocht bzw. die Betten nicht bezogen werden mussten. Einige Mitarbeiter haben aufgehört. Herr Hübscher, der langjährige Rezeptionist hat z.B. die Leitung der Jugendherberge Hellenthal übernommen. Inzwischen habe ich einige Mitarbeiter einstellen und das Team verstärken können. Das war dringend notwendig, denn die Belastung des Teams, das über lange Zeit unterbesetzt war, war enorm. Alle haben Großartiges geleistet, sind eingesprungen, haben unterstützt, da wo es erforderlich war. Nur kann das auf Dauer nicht gut gehen. Ich startete in Essen also mit dem vorrangigen Ziel so schnell wie möglich weiteres Personal zu akquirieren.Ist für Sie vor Ort der Personalmangel trotzdem noch ein Thema? Sind alle Arbeitsplätze vom Koch bis zur Rezeptionistin besetzt?
Die größten Engpässe sind behoben. Ich habe selbst immer überall mit angefasst und ausgeholfen, egal ob an der Rezeption oder bei der Zimmerreinigung jemand gefehlt hat. Die Zeiten bessern sich gerade. Eine Mitarbeiterin aus Duisburg ist nachgekommen und arbeitet jetzt als stellvertretende Leitung an meiner Seite (an der Rezeption), eine weitere Rezeptionistin, einen Koch, einen Hauswirtschafter habe ich eingestellt. Wir sind jetzt ein kleines internationales Team mit Kolleginnen und Kollegen aus Syrien, dem Irak und Togo. Bedarf gibt es nach wie vor im Housekeeping und in der Spülküche. Ich bin zuversichtlich, dass wir die Lücken ausfüllen. Da haben wir es in Essen etwas leichter, als im ländlichen Raum.Welche Qualifikationen müssen Ihre Mitarbeitenden mitbringen?
Die Einstellung zur Arbeit ist wichtig: Ohne die Bereitschaft, einen Job auszufüllen, geht es nirgendwo. Die Arbeit in einer Jugendherberge hat natürlich, wie andere Arbeitsplätze auch, seine bewährten Arbeitsabläufe, seine Routinen und seinen Rhythmus. Darüber hinaus hat man viel Kontakt zu Gästen, sollte also kommunikativ sein, serviceorientiert denken und auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Gäste eingehen können. Die Familie hat andere Wünsche als der Tagungsgast, aber alle werden gleichermaßen ernst genommen. Unser Ziel sind zufriedene Gäste und dazu muss jeder Mitarbeitende beitragen. Neben der Routine passiert immer auch Unvorhersehbares: Gäste reisen nicht an, besondere Essenswünsche wurden versehentlich nicht weitergegeben, Zimmer können nicht rechtzeitig bezogen werden. Unser Motto lautet: Es gibt immer eine Lösung! Selbstständiges Arbeiten, lösungsorientiertes Denken, Eigenverantwortung und Teamfähigkeit sind daher wichtige Voraussetzung.Wie sieht Ihr Arbeitstag als Jugendherbergsleiter aus?
Grundsätzlich ist kein Tag wie der andere. In der Regel aktualisiere ich morgens als erstes unsere aktiven Stellenanzeigen in den gängigen Portalen, damit sie schnell und einfach von Interessenten gefunden werden können. Neben der täglichen Büroarbeit, bin ich aber auch viel im Haus unterwegs. Bei meinen Rundgängen spreche ich mit den Mitarbeitenden und Gästen, schaue, wo Prozesse und Arbeitsbedingungen verbessert werden können. Ich springe auch mal beim Checkin ein oder wenn im Backoffice der Rezeption Hilfe benötigt wird. Der enge Kontakt zu den Mitarbeitenden ist mir wichtig, schließlich bin ich verantwortlich, dass alles gut läuft, eine gute Stimmung herrscht und sich alle wohlfühlen. Auch die Gäste natürlich. Da ist man auch schon mal als Krisenmanager und Troubleshooter unterwegs. An der Entwicklung der Gästezahlen sehen wir, dass sich unser Einsatz bewährt: Bis 2024 sind wir schon gut gebucht, auch von Gästen, die zum wiederholten Male herkommen.Welche Ziele setzen Sie sich als Leiter der Jugendherberge Essen für die Zukunft des Hauses. Welche persönlichen Pläne haben Sie?
Für den Moment arbeiten wir daran, dass alles wieder in den Normalbetrieb überführt wird – ob mit oder ohne Corona, denn die Pandemie ist ja noch nicht vorbei. Viel Potenzial sehe ich im Bereich der Tagungen. Das Haus hat sechs große Seminarräume, die zwar nicht so modern und komfortabel ausgestattet sind, wie in einer Tagungs-Jugendherberge, dafür sind sie hell und bieten einen phantastischen Ausblick Richtung Ruhrtal und Baldeneysee. Einige verfügen über einen eigenen Terrassenzugang. Daraus lässt sich mehr machen, z.B. mit der Beschaffung von neuem Mobiliar. Heute schon verkaufen wir mehr und mehr Tagungspauschalen sowohl mit, als auch ohne Übernachtung. Den Mangel an Komfort gleichen wir durch einen brillanten Service und individuelle Angebote aus. Wenn eine Gruppe z.B. nur Biokost oder eine rein regionale Tagungsverpflegung wünscht und wir genug Zeit zur Planung haben, können wir der Gruppe ihre Verpflegungswünsche gegen einen Preisaufschlag erfüllen.Was schätzen Sie an Ihrem Beruf?
Ich kann etwas bewegen, mitgestalten und auch Akzente setzen. Ich habe den Freiraum, darüber zu entscheiden, wie wir vor Ort das Motto „Gemeinschaft erleben“ umsetzen. Gerne bemühe ich immer das Bild der Glocke. Sie umschließt alle Gemeinschaftserlebnisse, nicht nur die der Gäste, auch die der Mitarbeiterteams und Programmpartner. Auf allen Ebenen muss Kollegialität und Zusammenhalt gelebt werden, damit wir unseren Zielen gerecht werden und authentisch dahinter stehen können. Darüber hinaus stehen wir im Netzwerk aller 33 Jugendherbergen im Rheinland nicht alleine da. Mit den Kollegen in den anderen Häusern und der Geschäftsstelle sind wir in ganz engem und regelmäßigem Austausch, arbeiten gemeinsame Strategien aus und unterstützen uns gegenseitig. Denn viele Aufgaben, Probleme und Herausforderungen sind keine Einzelfälle, sondern betreffen die meisten Standorte. Diese Zusammenarbeit auf allen Ebenen schätze ich sehr.Apropos Jugendherbergs-Netzwerk: Wodurch unterscheiden sich die Häuser im Rheinland und wie ergänzen sie sich?
Die Jugendherbergen im Rheinland sind sehr vielfältig. Vom klassischen Landhaus in der Eifel bis hin zur modernen Sport-Jugendherberge in Duisburg – es gibt für jeden Gast, jedes Freizeitvorhaben oder jede Reise einen passenden Ort. Denn klar ist auch: Nicht jeder Gast passt zu jeder Jugendherberge: Der eine möchte Komfort, der andere Ruhe, wiederum ein anderer sucht nach einem tollen Programm oder einer besonderen Lage. In der Jugendherbergen Duisburg Sportpark z.B. gibt es viele Tagungsgruppen, Sportgruppen aber auch Familien, die sich gerade wegen der modernen und komfortablen Ausstattung für das Haus entscheiden. In der Jugendherberge Essen mache ich gerade ganz andere Erfahrungen. Hier bieten wir Schulklassen ein großes Programmangebot, außerdem punktet die Jugendherberge mit ihrem vielfältigen Außengelände, der naturnahen Lage, dem Kleinspielfeld usw. Das Haus ist in seiner Ausstattung sicher nicht so modern und innovativ wie das Haus in Duisburg. Doch diesen Mangel können wir durch das Angebot, die Ausstattung und einen top Service wettmachen.Zum Abschluss ein Ausblick in die Zukunft: Das Deutsche Jugendherbergswerk ist ein Unternehmen mit Tradition, es wurde 1909 gegründet. Seitdem haben sich die Jugendherbergen von der einfachen Unterkunft zum modernen Gastgeber gewandelt. Welche Herausforderungen kommen auf die Jugendherbergen zu? Wagen Sie eine Prognose?
Die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie wichtig Gemeinschaftserlebnisse vor allem für Kinder und Jugendliche sind. Es gibt inzwischen viele Studien dazu, die belegen, dass die Vereinzelung, Kontaktarmut und der fehlende persönliche Austausch bei Kindern zu Ängsten, Verunsicherungen bis hin zu psychosomatischen Störungen geführt haben. Deshalb bin ich mir sicher, dass das Modell „Jugendherberge“ auch in Zukunft nicht an Bedeutung verlieren wird. Ganz im Gegenteil, es wird wichtiger denn je sein. Natürlich gibt es auch heute schon sichtbare Trends, denen wir uns stellen müssen: Nehmen wir nur den Bereich der Verpflegung. Reist heute eine Schulklasse an, sind darunter Vegetarier, Veganer, Kinder die nur Halal essen, andere mit Allergien. Darauf müssen wir uns einstellen. Auch Bio- und regionale Produkte werden zunehmend ein Thema. Nachhaltigkeit ist aber nicht nur beim Essen ein Trend, auch in der Energieversorgung und Bewirtschaftung eines Hauses. Die Gäste werden hier zunehmend aufmerksamer. Auch ihre Qualitätsansprüche haben sich verschoben: Wenn früher das 6-Bettzimmer „normal“ war, ist die Nachfrage nach kleineren Zimmereinheiten heute ein ständiges Thema. Insgesamt ist es wichtig, das Marktgeschehen genau zu beobachten, aktuelle Trends aufzugreifen und Verschiebungen bei den Gästeansprüchen wahrzunehmen, um rechtzeitig darauf zu reagieren. Nicht nur vor Ort und tagesaktuell sondern insgesamt auf der Verbandsebene. Mit unserem intakten Netzwerk im Rheinland sind wir für die Zukunft gut aufgestellt, davon bin ich überzeugt.